Day-Trading: Nur 1% der Tageshändler erzielt positive Renditen (2024)

Weniger als 1 Prozent aller Day-Trader erwirtschaften laut wissenschaftlichen Studien langfristig positive Renditen. Beim spekulativen Handel drohen Privatanleger in verschiedene psychologische Fallen zu tappen.

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Viele Anleger kennen das unangenehme Gefühl, wenn der Kurs einer Aktie abrupt in die Höhe schnellt und man nur Zuschauer ist. Wäre man nur im richtigen Moment eingestiegen, hätte man innerhalb von Stunden oder sogar Minuten ein Vermögen gemacht. Zum Beispiel, als sich der Aktienkurs des amerikanischen Wasserstoff-Fahrzeug-Entwicklers Nikola im Juni innert kürzester Zeit mehr als verdoppelte.

Die Hoffnung auf den schnellen und grossen Gewinn lockte nach dem Rückschlag aufgrund der Corona-Pandemie zahlreiche Anleger ins Day-Trading. Die Voraussetzungen für den spekulativen Kauf und Verkauf eines Titels innerhalb eines Handelstages scheinen auf den ersten Blick günstig wie schon lange nicht mehr: Die Volatilität an den Börsen erreichte im Frühling vergleichbare Ausmasse wie bei der Finanzkrise 2008 und bewegt sich bis heute auf erhöhtem Niveau.

Wenig Einsatz, aber hohes Risiko

Allein beim kostenlosen amerikanischen Broker Robinhood eröffneten im ersten Quartal 3Mio. Neukunden ein Depot. In der Schweiz meldet die Saxo Bank im ersten Halbjahr dreimal so viele Kontoeröffnungen wie üblich und einen Anstieg des Handelsvolumens um 70% gegenüber 2019. Auch der Marktführer Swissquote verzeichnet einen «massiven Zustrom neuer Kunden».

Ein Teil dieser Neukunden versucht sich im spekulativen Tageshandel. Gehebelte Finanzinstrumente wie Differenzkontrakte (CFD) und Optionen erlauben es dort, mit einem vergleichsweise geringen finanziellen Einsatz grosse Gewinne zu realisieren – sofern man die kurzfristige Entwicklung eines Wertpapiers oder eines Wechselkurses korrekt vorhersagt. Allerdings können auch die Verluste sehr schnell sehr umfangreich ausfallen, wenn sich der Kurs anders entwickelt als erwartet. Kann man mit Day-Trading nach Abzug der Handelskosten überhaupt längerfristig Geld verdienen?

Gewinne vor allem aus Zufall

Der amerikanische Finanzökonom Brad Barber gehört weltweit zu den meistzitierten Autoren seines Fachs und hat zusammen mit Forscherkollegen die Handelsaktivitäten von Hunderttausenden Day-Tradern in Taiwan analysiert. Sein ernüchterndes Fazit: In einem typischen Jahr erzielten zwar rund 20% der untersuchten Anleger Nettogewinne. In den meisten Fällen war es aber lediglich Glück.

Längerfristig betrachtet gelang es von 450000 Day-Tradern nur den 4000 geübtesten, zuverlässig und statistisch vorhersehbar eine positive Rendite zu realisieren. Also weniger als 1%. Rund 99% der Investoren, die im Day-Trading aktiv waren, verloren auf lange Sicht Geld.

Gegenüber der NZZ hält Barber fest, es gebe viele, die über Jahre mit Day-Trading weitermachten, obwohl sie in der Vergangenheit viel Geld verloren hätten. Sie hätten entweder ein unrealistisches Bild ihrer eigenen Fähigkeiten oder sähen Day-Trading trotz Verlusten als lohnenswertes Hobby an. «Die meisten Anleger stünden besser da, wenn sie in einen gut diversifizierten, passiv verwalteten Indexfonds investieren würden.»

Die Rolle der Informationsasymmetrie

Bleibt die kleine Gruppe von Elite-Tageshändlern, die laut Barbers Studie über «eine bemerkenswerte Fähigkeit verfügt, die richtigen Aktien auszuwählen», und allen statistischen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz über Jahre hinweg konstant positive Renditen erzielt. Informationsasymmetrie scheint ein zentraler Faktor zu sein: Die erfolgreichsten Day-Trader konzentrierten sich in der Regel auf wenige Aktientitel und verschafften sich so mutmasslich einen Wissensvorsprung.

Überdurchschnittliche Gewinne erzielten sie auch mit schwer bewertbaren Aktientiteln mit geringer Marktkapitalisierung sowie in zeitlicher Nähe zu Gewinnankündigungen: Sie reagierten vermutlich schneller und aggressiver auf neue öffentlich verfügbare Informationen als andere Marktteilnehmer. Oder sie nutzten verbotenerweise vertrauliche Informationen zu den gehandelten Titeln. Insiderhandel allein kann laut den Studienautoren die konstanten positiven Renditen allerdings nicht erklären. Sie vermuten, dass es die händlerische Fertigkeit ist, welche die erfolgreichsten Tageshändler von der Masse abhebt.

Kostspielige Fehlentscheidungen

Dass nur die allerwenigsten Day-Trader Geld verdienen, hat auch psychologische Gründe. Der Portfoliomanager Rocco Rafael analysiert beim Fondsanbieter Swisscanto die Entwicklung der Aktien- und Rohstoffmärkte, unter anderem aus Sicht der Behavioral Finance. Dabei untersucht er Wahrnehmungsverzerrungen, die Anleger zu kostspieligen Fehlentscheidungen verleiten können.

Ein typisches Beispiel: Verliert ein Händler beim ersten Trade des Tages Geld, ist er beim zweiten Trade aus psychologischer Sicht eher geneigt, Risiken einzugehen, um den anfänglichen Verlust wettzumachen. Gleichzeitig verkaufen viele Privatanleger ihre Wertpapiere bei steigendem Kurs viel zu schnell, um den Profit ins Trockene zu bringen.

Dieses Verhalten nennt sich Dispositionseffekt, und es ist eine der bekanntesten kognitiven Fallen: Haben Anleger das Gefühl, sie seien in der Verlustzone, verhalten sie sich risikofreudig, in der Gewinnzone risikoavers. Was als Gewinn und was als Verlust wahrgenommen wird, ist zudem nicht in Stein gemeisselt: Gewisse Anleger nehmen es als Verlust wahr, wenn ein zunächst stark gestiegener Aktienkurs wieder fällt, obschon sie sich immer noch in der Gewinnzone befinden.

Ausgeschlafene Trader sind erfolgreicher

Rafael bezeichnet es als entscheidend, dass Händler im Day-Trading einen fundierten Handelsplan mit Ein- und Ausstiegsszenarien haben und diesen diszipliniert umsetzen. Sonst könne es schnell sehr teuer werden, besonders bei gehebelten Geschäften. Wichtig sei auch, dass man den eigenen Gemütszustand lesen könne, bevor man an der Börse aktiv werde. «Wenn Menschen emotional sind, dann leidet aus biochemischer Sicht die Objektivität.»

Studien haben gezeigt, dass schlecht ausgeschlafene Anleger grössere Risiken eingehen und dann möglicherweise zu lange an einer gefallenen Aktie festhalten. Auch Streit in der Partnerschaft wirkt sich auf den mentalen Zustand und damit auf spätere Entscheidungen aus. Professionelle Day-Trader prüfen deshalb vor Handelsbeginn die eigene emotionale Verfassung und setzen nötigenfalls auch einmal einen Tag aus.

Durch soziale Netzwerke genährte unrealistische Erwartungen

Wie der Finanzökonom Barber rät auch Rafael neuen Retail-Investoren vom Day-Trading ab. Unerfahrene Anleger hätten oftmals völlig unrealistische Erwartungen beim Einstieg und hegten die Fantasie, schnell reich zu werden. Man solle den in den sozialen Netzwerken zirkulierenden Erfolgsgeschichten besser keinen Glauben schenken.

Charles Day vom UBS Global Wealth Management formulierte kürzlich gegenüber Bloomberg eine einfache Regel: Von Aktien, von denen man vor drei Monaten noch nie etwas gehört habe, sei im aktuellen Umfeld auch bei starken Kursanstiegen ganz klar abzuraten. Gerade als wohlhabender Investor dürfe man in solchen Fällen nicht der Angst verfallen, dass man eine riesige Rendite verpasst.

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Christof Leisinger, New York

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